China ist überwältigend und trotzt so manchen Vorurteilen: Wie ich mit meinem E-Bike durch dieses unendlich grosse Land gleite und mich dabei nie einsam fühle.
Mit einer Schüssel Reis in der Hand weckte mich ein Mädchen zum Start meiner achten Etappe. Ich bin definitiv in China angekommen. Alle Ängste und Zweifel sind einmal mehr vergessen. Ich gleite mit meinem E-Bike durch dieses unendlich grosse Land und habe das Gefühl, voll darin aufzugehen.
Sicherer als auf den Strassen von Zürich
Zugegeben: Die ersten zweieinhalb Etappen ab Shanghai waren nichts Schönes. Es ging vorbei an Hafenanlagen, einem Schmutzmeer, Raffinerien und anderen Schornsteinen. Was mich jedoch beeindruckt hat: Als Fahrradfahrerin hatte ich praktisch immer meine eigene Fahrbahn, die es bloss mit Rollerfahrern zu teilen galt. Noch nie bin ich mit dem Velo aus einer Metropolregion mit 23-Millionen-Einwohnern herausgefahren – und habe mich dabei erst noch sicherer als auf den Strassen von Zürich gefühlt.
Bereits nach zwei Etappen, in Hangzhou, hätte ich viel Kultur und Geschichte besichtigen können. Allerdings fiel mein Aufenthalt dort gerade auf einen nationalen Feiertag, was mit einem grossen touristischen Andrang verbunden war. Darum entschloss ich mich, die Sehenswürdigkeiten in der 10-Millionen-Metropole aufzulassen.
China bietet bessere Perspektiven
Dafür traf ich auf eine grosse Überraschung: Zwei russische Tourenfahrer, die in Hangzhou leben und für das lange Wochenende in dieselbe Richtung wie ich unterwegs waren. Alena ist Chemikerin und arbeitet als Lehrerin in der Provinzhauptstadt. Sie unterrichtet auf Englisch, verdient 1300 Dollar im Monat und lebt zusammen mit ihrem Mann in einer Wohnung, die von der Schule bezahlt wird. Was mich zudem erstaunt hat: Es handelt sich dabei nicht etwa um eine Privatschule, sondern um eine staatliche Institution für besonders clevere Kids.
Die beiden sehnen sich nach ihrer Heimat in der Uralregion. Allerdings sehen sie derzeit keine Perspektiven in Russland. In China haben sie ein gesichertes Einkommen und können sogar Geld zur Seite legen.
Super Infrastruktur für Radfahrer
Ich kann Diktaturen aus Prinzip nicht gutheissen. Aber wie viel Geld der Staat hier in Bildung und Infrastruktur investiert, ist schon ziemlich beeindruckend. Das hüglige Hinterland von Hangzhou ist touristisch bestens erschlossen. Oft hatte ich einen speziell für Radfahrer angelegten Weg, der entlang eines Flusses oder Sees führte. Da und dort war der Fahrradweg sogar beidseitig mit Reflektoren ausgestattet, für sichere Nachtfahrten.
Auf die Navigations-App Komoot ist auch in China Verlass. Nur einmal bin ich auf einem mühsamen Abschnitt gelandet. Was aber nicht in der Verantwortung von Komoot lag, denn die Strasse wäre ganz okay gewesen, wenn da nicht gerade parallel dazu eine neue Autobahn gebaut worden wäre. Das heisst, ich wurde ständig von riesigen Dieseltrucks überholt, die lärmten, stanken und viel Staub aufwirbelten.
Hanzi aus Guangzhou
Am sechsten Tag traf ich auf Hanzi, einen Rentner aus Guangzhou. Er war mit einem Dahon-Faltrad ab Nanjing unterwegs. Gemeinsam mit dem 65-Jährigen bestieg ich den Huang Shan, den gelben Berg, der selbst für bergverwöhnte Schweizerinnen ein besonderes Ausflugsziel ist. Zu Hause gibt es keine knorrigen Kiefern und derart spitze Felszacken über dem Wolkenmeer.
Was mich auch berührte: Fahrradfahrer, egal aus welchem Kulturkreis und welcher Generation, verstehen sich einfach immer. Nach zwei Tagen war mir Hanzi derart ans Herz gewachsen, dass ich richtig traurig war, als sich unsere Wege wieder trennten.
Einsam bin ich nie
Ob ich allein reise, fragen die Leute oft. Und fügen dann manchmal jeweils gleich hinzu, zu zweit wäre doch viel besser. Aber ich fühle mich eigentlich selten einsam. Ich treffe ständig Leute und übe mein Chinesisch im Smalltalk. Gerade auf dem Land sind die Menschen sehr neugierig und oft reicht ein Lächeln, um das Eis zu brechen.
Die bisherige Strecke wäre sogar etwas für Camping-Verweigerer gewesen: Es gab Hotels zu Hauf. Die günstigen Absteigen kosten etwa 10 Euro, wobei sich die Kosten für Paare oder Duos gleich halbieren. Und in Hangzhou, am Gian Dao Lake oder beim Huang Shan hätten sich sogar Luxustempel für Geniesser finden lassen.
Campen im Dorf
Ich ziehe jedoch hin und wieder eine Nacht im Zelt vor, und das nicht nur wegen des Budgets. Nach der siebten Etappe stoppte ich in einem Dorf und fragte, ob ich mein Zelt unter einem kleinen Pavillon aufstellen dürfte. Ich durfte. Später kamen mehr Leute hinzu und befanden, dass ich unter das Vordach des Kommunalgebäudes besser aufgehoben sei. Allerdings hatte ich den Verdacht, dass die Sicherheit bloss ein Vorwand war. An dieser zentralen Stelle konnte man mich einfach besser bestaunen. Alle wollten diese Ausländerin, die da mit dem Velo angefahren kam, mit eigenen Augen sehen. Die Neugier war gegenseitig.
China trotz den Vorurteilen
Die Leute waren unglaublich nett: Sie brachten mir heisses Wasser, Süssgetränke und wollten mich sogar zum Essen einladen. Was ich aber ablehnte, da ich mein Bauch schon voll war. Das Angebot, die Batterien meines Bikes aufzuladen, nahm ich aber dankbar an. Und last but not least: Am Morgen wurde ich mit besagter Reisschüssel geweckt.
In den vergangenen zehn Tagen wurden mir unglaublich viele kleine Aufmerksamkeiten zugesteckt: Pflaumen, Äpfel, Eier und immer wieder mal frisch abgekochtes Wasser.
Ich wurde im Vorfeld vor der Ruppigkeit der Chinesen gewarnt. Und ja es stimmt: In der Shanghaier Metro geht es wirklich hart auf hart. Da wird gedrängelt, geschubst und gestossen. Aber hier in der Provinz treffe ich auf ein anderes China – und ich liebe es.
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Schöner Bericht. Ein bisschen Einblick in die unverfälschte Lebensart der Chinesen. Weiterhin viel Spass. Danke & Gruss, Angelo Rizzi
Mit deinen Berichten zeigst du uns wie schön doch unsere Welt sein kann , wen man nicht im Luxus lebt und doch reicher sein kann . Ich wünsch dir noch viele solche Begegnungen und Gesundheit damit du dein Ziel erreichst💕💕
Hallo Andrea,
schön das es dir gut geht und deinen Weg unter den 10ooo möglichen Routen gefunden hast. Mir war nicht bange das du diese Herausforderungen meistern würdest. Ein so großes Land, ca.3×3 Tausend km nur der Osten Chinas, eine so fremde Kultur in Schrift und Bild hat seine Überraschungen, aber auch Freude und weitere werden folgen.
Danke für deine Berichte denen mir viel Freude bereiten. Das ich an deiner Reise einen Anteil haben darf. Respekt für deinen Mut.
Wünsche dir weiterhin gute,sicher fahrt und das du immer freundliche Chinesen begegnest.
Grüße Otto
Liebe Andrea, interessante und schöne Erlebnisse durch viel Entschlossenheit und Mut. Gratuliere. Ich verbrachte einen Monat in Yangshou in einer Taichi Schule und begegnete vielen freundlichen und interessierten Chinesen. Auch ich merkte, dass das Land sich stark nach Entwicklung und Fortschritt richtet. Viel Glück und Spass weiterhin. Anita