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Passt von der Schweiz bis nach China: Der zweipolige Stecker meines Ladegerätes, hier an einer chinesischen Steckdose.

Sechs Mythen zum E-Bikereisen

Felix aus Berlin möchte, dass ich ihn von seinen Vorurteilen in Sachen E-Bike heile. Er hat ein paar  Behauptungen aufgestellt – hier meine Replik.

1. Ich kann auf Radreisen nicht garantieren, dass ich in nötigen Abständen an einer Steckdose vorbeikomme.

Doch. Dass du keine Steckdose findest, passiert dir einfach nicht. Wenn du mit dem konventionellen Rad unterwegs bist und nicht weisst, ob zwischen dem letzten Dorf und dem Hospiz noch ein Restaurant oder eine Einkaufsmöglichkeit kommt, fährst du auch nicht ohne Riegel im Trikot den Pass hoch. Mit meinen beiden Akkus kann ich bei Temperaturen im Plusbereich und im Unterstützungsmodus «Standard» mindestens rund 2600 Höhenmeter auf 100 Kilometer überwinden. Kenne ich die Region nicht, plane ich immer mit der Navigations-App Komoot und weiss daher immer genau wie viele Kilometer und Höhenmeter auf mich und meinen Flyer zukommen. Und überhaupt: Zwischen Zürich und Dushanbe ging mir der Strom nie aus. Inzwischen bin ich überzeugt: Solange du den Asphalt nicht verlässt, kommst du immer an Dörfern vorbei, die ans Stromnetz angeschlossen sind – und zwar auf der ganzen Welt.

Der Mann im Lada hofft auf Kundschaft mit leerem Tank: Ich hätte derweil in jedem Dorf auf der Strecke eine Steckdose gefunden.
Der Mann im Lada hofft auf Kundschaft mit leerem Tank: Ich hätte derweil in jedem Dorf auf der Strecke eine Steckdose gefunden.

 

2. Wenn ich die Etappenlänge der Akku-Kapazität anpasse, dann zwingt mich das unter Umständen in teure Quartiere.

Stimmt nicht. Ich bin mit zwei Akkus und zwei Ladegeräten auf meine Reise aufgebrochen. Ein Ladegerät hätte vollkommen gereicht, aber es ist praktisch zwei dabei zu haben, da ich so simultan laden kann. Bei normalen Tagesetappen im gewellten Gelände benötige ich bloss einen Akku pro Tag. Ich kann so sogar wild Campieren. Auch zwei Tage in Folge sind möglich. Dann nutze ich die Mittagspause um in einem Restaurant nachzuladen. Zudem zeigt meine Erfahrung: Überall wo es Luxusbunker gibt, gibt es auch günstige Hotels – umgekehrt ist das nicht immer der Fall.

Mein MSR Hubba NX vor den Toren der armenischen Hauptstadt Jerewan. (Bild: Martin Bichsel)
Wild Campieren in Armenien: Mein MSR Hubba NX vor den Toren der Hauptstadt Jerewan. (Danke Martin Bichsel für dieses Hammerbild)

 

3. Ich kann mit einem E-Bike nicht fliegen, weil alle Airlines die Mitnahme bisher ablehnen.

Dem ist so. Du kannst das Bike nur ohne Batterie mitnehmen. Ich hatte Glück, dass meine Akkus aus China stammen. So konnte ich ohne Probleme neue organisieren, nachdem klar war, dass ich im Frühjahr nicht ab Dushanbe weiterfahren kann. Stichwort: Double Entry Visa. Während meiner Reise muss ich insgesamt drei Mal ins Flugzeug steigen. Jetzt wo ich klüger bin, würde ich anders planen. Ich würde in China starten, womit ich nur einen Flug benötigt hätte. Oder ich würde gleich in einem grossen Oval durch Asien fahren. Nicht nur wegen der Visa-Sache. Ich habe unterwegs viele Menschen getroffen, die entweder konsequent aufs Fliegen verzichten oder sich einen Flug gar nie leisten können. Reisen ohne Fliegen ist möglich. Okay: Man kann dann eben nicht mal so schnell nach China jetten, aber Overland hat man garantiert mehr davon.

Fliegen ist doof: Vor dem Einchecken am Flughafen von Dushanbe.
Fliegen ist eh doof: Vor dem Einchecken am Flughafen von Dushanbe.

 

4. Wenn der Akku alle ist, dann ist er nur Ballast, der sich negativ auf die Gepäckmenge auswirkt.

Wie gesagt: Du willst auch nicht in den Hungerast fahren. Sonst ist dein Körper wie ein Stück totes Tier, das du mitschleppen musst.

5. Der Fitnessaspekt des Radfahrens geht mir zu sehr verloren, wenn ich mir dauern von einem Motor helfen lasse. Das kommt mir vor wie Schummeln, obwohl ich mir mit inzwischen 69 Jahren bergauf oft etwas Unterstützung wünschte.

Hier habe ich als Frau und als Nesthäkchen wahrscheinlich einen Vorteil. Ich war immer langsamer als meine vier grossen Brüder. Noch nie konnte ich leistungsmässig mit Männern mithalten. Und meine Freundin Barla fährt mir sogar im halbkranken Zustand davon. Das heisst, mir fehlt der nötige Stolz, um mich für das E-Bike zu schämen. Natürlich gilt es die Blicke der anderen Radfahrer zu ertragen. Aber nur zu gerne erinnere ich mich an den Teenager im Tirol, der mich belächelte; selber dann aber möglichst flach an die Adria fuhr, während ich keinen Pass ausliess. Ich kann dir sagen: Das war trotz E-Bike eine sportliche Herausforderung. In Triest hatte ich auf jeden Fall ein paar Tage Ruhe nötig. Falls du das nicht glaubst, hier noch die aktuellste Studie zum Thema. Und Fakt ist: Du wirst nicht jünger, aber dein Radius zunehmend kleiner. Nutze die Möglichkeiten des E-Bikes. Oder willst du wirklich zum Flachfahrer werden?

Das mit den schrägen Blicken hört spätestens am Bosporus auf: Diese fünf Usbeken etwa fanden mein Fahrrad ziemlich faszinierend.
Das mit den schrägen Blicken hört spätestens am Bosporus auf: Diese fünf Usbeken etwa fanden mein Fahrrad ziemlich faszinierend.

 

6. Nicht überall auf der Welt ist die Stromspannung gleich. Das gibt doch sicher Probleme beim Laden.

Das hat mir vor der Abfahrt auch Sorgen bereitet. Auf meinen Ladegeräten steht 100 bis 240 Volt. Was aus den Steckdosen kommt, weiss ich allerdings nie so genau. Beim Einstecken hat es auf jeden Fall schon ein paar Mal gefunkt. Immerhin: Kaputt gegangen ist noch nie was, und die Akkus haben auch immer brav geladen. Gesorgt habe ich mich vor Abfahrt auch um die jeweils richtigen Adapter. Umsonst: Von der Schweiz bis nach China braucht man für zweipolige Stecker keinen Aufsatz. Und für den Computer reichte ausser in Italien und in China der Eurostecker.

Wie der Zählrahmen beweist: Bis vor Kurzem wurde in diesem Kiosk in Georgien noch von Hand gezählt, Strom gibts aber trotzdem.
Wie der Zählrahmen beweist: Bis vor Kurzem wurde in diesem Kiosk in Georgien noch von Hand gezählt, Strom gibts aber trotzdem.

 

 

Dieser Beitrag hat 13 Kommentare

  1. Ekkehard Radam

    Hallo Andrea,
    Danke für Deine tollen, umwerfenden Berichte.
    Ich bin sehr beeindruckt über Deine Erfahrungen und wünsche Dir weiterhin viel Glück und immer genug Luft i.n den Reifen.
    Ekkehard 79 Jahre Flyer T8R ebike 6000 km/p.a.

  2. Otto

    Hallo Andrea ,
    E-Bike fahren ist doch kein Radfahren, höre ich immer wieder von nicht Strom unterstützten Radfahrern. Sie sollen doch mal E-Biken lernen und sie werden lernen damit umzugehen und sie werden spüren wie es ist in den Bergen „ab“ geht.
    Andrea fahre Dein weg und genieße das velofahren Bergauf, Bergab oder auch in der Ebene in China oder anderswo in dieser Welt. Wer Strom braucht der findet ihn.
    Mittlerweile fahre ich , 68 Jahre jung, 59200 km in 5 Jahren mit dem E-Bike. Strom habe ich immer gefunden egal in welchen Land. Meine Beine freuen sich wenn sie E Bike fahren dürfen.
    Genieße Deine Radreise!
    Herzlichen Glückwunsch für Dein „Freier(en) Mut“.

    Ich drücke Dir die Daumen.

    xoxo

    Otto

  3. Felix A. Ihlefeld

    Danke für die Antworten. Ich war 2 mal in Kanada, dort wäre ich also mit Flieger und e-Bike nicht hingekommen. Zusatzfrage: Wie schwer sind Akku und Ladegerät und wie lange dauer einmal komplett laden?

    1. Andrea Freiermuth

      Dieser Mann hier versucht gerade mit dem Pedelec um die Welt zu fahren und nie in ein Flugzeug zu steigen. http://oneworldpedelectour.de Und der ist noch nicht Rentner.
      Zu deiner Frage: Ein Akku ist 3.7 Kilogramm schwer, die Ladegeräte je geschätzte 0.5 Kilogramm. Nach 3 Stunden sind sie von 0 auf 90 Prozent. Die letzten zehn Prozent dauern dann nochmals eine Stunde. Wenn ich in einer Mittagspause beide ans Netz schliesse und eineinhalb Stunden lade, dann habe ich bereits wieder rund 100 von 200 Prozent zusammen.

  4. Zu Deiner ersten Antwort muss ich leider etwas widersprechen: In Westaustralien ist die Versorgungslage sehr schlecht, da kriegst Du über Tage kein Dorf zu sehen, um die Akkus aufzuladen. Doch mit zwei Akkus ist es scheinbar dennoch möglich, da ich einen Rentner getroffen habe, der von Perth aus im Uhrzeigersinn um Australien gefahren ist – mit e-Trike (und Hund im Anhänger) mit zwei Akkus. Doch unterwegs hat er noch zwei Akkus mehr gekauft, weil es zwischendurch doch ziemlich knapp wurde. Das kommt halt auch immer drauf an, wieviel Gewicht man mitschleppt – Du hast ja keinen Hund 🙂
    Aber was mich interessieren würde; hast Du mal gemessen wieviel Ah Deine ersten Akkus noch hatten? Mein Akku war innert vier Jahren von 17.6 Ah auf 4Ah hinunter gesaust. Laden ging schneller, aber war auch schneller wieder leer.
    Ach und wegen dem „Schummeln“: Frag mal zurück bei was man schummelt? Wo sind irgendwelche Regeln, wie man Tourenrad fahren soll? Wieviel und welches Gepäck man mitnehmen soll? Jeder der mir schummeln vorwirft, biete ich an, mein Trike den Berg hoch zu fahren ohne Motor, dann sprechen wir wieder darüber.
    Ich wünsche Dir noch viele frohe weitere Kilometer! Gruss aus Tasmanien.

    1. Andrea Freiermuth

      Da ich eine Strombanause bin, musst du mir weiterhelfen: Wie kann ich das mit dem Ah nachschauen?

      1. Das Ah messen ist nicht einfach, dazu braucht man ein spezielles Gerät, welches ich natürlich auch nicht habe. Da Du ja jetzt wieder neue Batterien hast, wird das sowieso kein Thema sein. Schöne Weiterfahrt mit vielen interessanten Begegnungen wünsche ich Dir.

        1. Du müsstest nach einem Amperestunden Messgerät suchen, da gibt es viele und dann selbst die Messwerte vergleichen, ob und in welchem Zeitraum sie sinken. Du beginnst, wenn der Akku völlig leer ist und geladen wird.

  5. Ich schrieb in meiner Frage an Andrea „das kommt mir wie Schummeln vor“. Also ganz subjektiv gemessen an der Vergleichbarkeit mit anderen Tourenradlern, die überwiegend nicht mit Elektroantrieb fahren. Und natürlich gibt es keine übergeordneten Regeln an die man sich zu halten hätte. Aber eben etablierte „Üblichkeiten“, die sich in den letzten 50 Jahren entwickelt haben und die sich natürlich immer mehr verändern werden wie alles was wir tun. Was die E-Bikes dabei für eine Rolle spielen werden, wird sich erst noch zeigen und hängt von vielen Faktoren ab.

  6. heino frank

    Moin, eine Frage zu Deinem Lowrider: Wie hast Du diesen an der dicken Gabel mit Stoßdämpfer befestigt?
    Ich hörte, dass am Stoßdämpfer kein Lowrider angebracht werden darf, da dann die Sachen ständig durchgeschüttelt werden,
    Gruss, frank

    1. Andrea Freiermuth

      Hoi Heino, ich habe den Lowrider nicht selber montiert. Das wurde von Flyer erledigt. Aber ich glaube, das Modell, das Flyer gewählt hat, ist speziell für Federgabeln entwickelt. Es handelt sich um folgendes Modell: Gepäckträger vorne Thule Tour Pack 100090, Site Frame Kit 100017. Ich weiss, dass Lowrider an Federgabeln eine Herausforderung sind und war sehr erstaunt, dass ich da nie, aber wirklich nie, was nachziehen oder nachspannen musste. Der Mechaniker hat für alle Schrauben Locktight verwendet, was sicher geholfen hat.

  7. Peter

    Hallo Andrea, deine Erfahrungen kommen mir gerade gelegen. Möchte mir ein Reiserad zulegen und bin dank dir und deinen Argumenten jetzt der Überzeugung, doch ein E-Bike zu kaufen. Jetzt aber eine Frage; mit Hinterradantrieb (weniger Verschleiss, schnellere Talabfahrten, leiser etc.) oder würdest du sagen „nur Mittelmotor“? Danke dir jetzt schon für dein Feedback. Lieber Gruss und weiter viele Abenteuer….

    1. Andrea

      Hinterradantriebe haben den Ruf, dass sie schnell mal überhitzen und anfälliger sind. Ich würde unbedingt auf Riemenantrieb setzen, dann ist Verschleiss kein Thema.

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