Die beiden vergangenen Wochen in Armenien waren etwas überschattet von Visastress und einem Wetterumschwung. Gleichzeitig hatte ich die dadurch erzwungenen Pausen dringend nötig. Ich hielt mich letztlich mehr als eine Woche in der armenischen Hauptstadt auf, weil ich am 1. Oktober das Päckchen mit den Wintersachen entgegennehmen durfte, das Visum für den Iran aber erst am 8. Oktober erhielt.
Eine Baumeler-Reiseleiterin, die am ersten Oktoberwochenende mit ihrer Wandergruppe aus der Schweiz einflog, hatte sich liebenswürdigerweise bereiterklärt, mir meinen warmen Schlafsack und die wetterfesten Schuhe mitzubringen. Ursprünglich wäre geplant gewesen, dass die beiden Frauen, die ab Jerewan mitkommen wollten, das Material mitnehmen.
Planlos in Jerewan
Mehr als ein Besuch im Völkermordmuseum, drei Botschaftsgänge und planloses Durchstreifen der Stadt habe ich aber in diesen acht Tagen in Jerewan nicht geschafft. Es waren die ersten Tage in drei Monaten ohne Programm. Das klingt verrückt, ist aber so: Wenn ich nicht gerade auf dem Velo sitze, um weiter ostwärts zu kommen, schreibe ich einen Blog, treffe Leute oder mache Sightseeing – und stets habe ich das Gefühl, ich hätte doch noch dieses oder jenes machen können.
Ich habe mir eine einjährige Auszeit genommen und hatte im Vorfeld das Gefühl, dann endlich mal richtig viel Zeit zu haben. Aber egal wie lange man unterwegs ist: Man hat nie genug Zeit. Es gilt einen guten Rhythmus zu finden.
Ich habe ihn noch nicht ganz gefunden. Das hat viel damit zu tun, dass ich mir generell zu viel vornehme und oft das Gefühl habe, ich könnte was verpassen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich bisher nur kurz allein gereist bin und mich auch nach meinen wechselnden Reisepartner richten musste.
Tägliche eine Panne
Während die Tage mit Beat (Zürich – Istanbul) und Martin (Istanbul – Jerewan) mehr oder weniger nach Plan verliefen, wurde mit Sina (Jerewan bis voraussichtlich Ardabil) alles etwas unvorhersehbar. Sinas Bike ist eigentlich untauglich für eine solche Reise. Darum hat er beinahe jeden Tag eine Panne, die dann jeweils ein Zeitfresser ist. Zudem ist es die erste längere Radreise für den 25-Jährigen. Das ist mit ein Grund, warum er unglaublich viel Zeit braucht, bis er seine Taschen gepackt hat, während bei mir alles mit Zack geht.
Gleichzeitig hatten wir in den vergangenen Tagen eigentlich keine Zeit zum Trödeln. Die rund 400 Kilometer von Jerewan bis an die iranische Grenze führten über insgesamt 7500 Höhenmeter und auf der letzten Etappe über einen Pass von 2500 Meter über Meer. Ich nahm diesen Übergang wegen schlechten Wettervorhersagen einen Tag später in Angriff als Sina. Auch diese Pause hatte ich nötig, denn an jenem Tag litt ich unter einer akuten Entzündung des linken Augenlids.
Abfahrt im Dunkeln
Sina versuchte derweil per Anhalter über den Pass zu kommen, weil die Zeit drängte: Er stand vor der Herausforderung, die Grenze noch am selben Tag zu überqueren. Er hat es geschafft und wird jetzt die Kaution zurückerhalten, die er vor seiner Ausreise aus dem Iran hinterlegen musste.
Der Jungspund hat den Pass letztlich aus eigener Kraft bezwungen, weil ihn der Ehrgeiz dann doch noch gepackt hat. Allerdings hat er so lange dafür gebraucht, dass er erst kurz vor Mitternacht an der Grenze war und damit einen Grossteil im Dunkeln gefahren ist. Etwas, was ich auf Strassen, auf denen man jeder Zeit mit Schlaglöchern oder offenen Abwasserschächten rechnen muss, niemals tun würde.
Armenien ohne Sightseeing
So oder so: Weil die Zeit knapp war, konnten wir die vielen Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke Jerewan-Agarak nicht besichtigen. So etwa das Kloster Tatev, das über die längste Pendelbahn der Welt erreichbar ist. Das reut mich sehr. Denn diese alten Gemäuer in luftiger Höhe sind eigentlich ein Must unter den Sehenswürdigkeiten in Armenien.
Egal: Ich weiss eigentlich, dass ich mich in ein paar Jahren weniger an das Kloster und die Seilbahn, als vielmehr an die Begegnungen entlang der Strasse erinnern werde. Etwa an Edgar und seine Frau Ovsanna, die meine Schweizer Fahne am Fahrrad sahen und mich in gebrochenem Deutsch zum Tee einluden und nicht ohne Lunchpaket weiterziehen liessen. Der Busfahrer, der am Strassenrand auf seine Touristen wartete und uns mit Kaffee, Cognac und Äpfeln verpflegte. Die beiden iranischen LKW-Fahrer, die ihre Brotzeit mit uns teilten. Oder die Hirten, die eine riesige Schafherde über die Hochebene trieben und mich auf meinem Hightech-Pony bestaunten.
Ps. Diesen Blog wollte ich schon vor einer Woche online stellen. Das war wegen fehlendem Internet jedoch nicht möglich. Ich bin nun schon längst im Iran und hätte darüber viel zu erzählen. Unter anderem von einer äusserst unangenehmen Begegnung: Ein Mann hat mir einen Stock zwischen die Speichen gesteckt und mich anschliessend damit geschlagen. Das Ganze war jedoch weniger schlimm, als es klingt – und vor allem: Der Angriff geschah aus einem anderen Grund, als man vielleicht denkt. Darüber bald mehr.
Gut von dir zu hören – war wieder spannend! Ich wünsche dir alles Gute auf der weiteren Reise – und dass dir nicht das Gleiche passiert wie mir: Mir wurde in der U-Bahn von Athen Handy und Geld gestohlen… Freue mich auf weitere Blogs!
Hallo Andrea,
wünsche vor allem die beste Gesundheit und weiterhin eine sorgenlose Veloreise. 6000km bis Teheran ? ist die Hälfte der Chinareise geschafft- Glückwunsch!!!
Herzlichst Otto
Ja, ich glaube Teheran ist ungefähr die Hälfte. Muss wieder mal auf meinen Tacho schauen. Glaube, bis Teheran werde ich schon 7000 haben. Die 12000 waren immer bloss eine Schätzung…