Es gibt ein Problem: Die beiden Frauen, die mich ab Jerewan in Armenien bis nach Teheran in den Iran begleiten wollten, kommen nun doch nicht mit. Wie ich aus Facebook-Gruppen weiss, haben allein reisende Radfahrerinnen im Iran oft unangenehme Begegnungen mit dem anderen Geschlecht – und darum hatte ich im Vorfeld nach Mitstreiterinnen Ausschau gehalten.
Die beiden haben ihr Wort gebrochen. Ich bin sehr enttäuscht. Aber egal: Ich bin inzwischen gut vernetzt mit Bike-Aktivistinnen hier in der Türkei. Sie lassen mich trotz dieser schlechten Erfahrung noch an Frauenpower und Schwesternschaft glauben.
Frauenpower auf zwei Rädern
Da ist zum Beispiel Özlem Alkan Oktay (32) aus Istanbul: Sie hat 2014 gemeinsam mit Kolleginnen die Bisikletli Kadın İnisiyatifi geründet – eine Gruppe, die Frauen zum Radfahren motivieren will. In der Türkei können viele Frauen gar nicht Radfahren. Genaue Zahlen dazu fehlen. Was man aber aufgrund einer Befragung weiss: Nur fünf Prozent der weiblichen Bevölkerung in Istanbul fährt Rad, 65 Prozent würden sich aber gerne hin und wieder auf ein Fahrrad setzen. Viele Eltern unterstützen ihre Töchter nicht beim Radfahren, da sich dies für Mädchen sowieso nicht ziemt – und manche denken sogar, das Sitzen im Sattel könnte die Jungfernhäutchen beschädigen.
Özlem lernte das Radfahren als Kind, hörte dann aber als Teenager damit auf, bis sie es im Alter von 22 Jahren wiederentdeckte: «Ich fühle mich auf zwei Rädern so frei. Und die körperliche Bewegung tut mir gut.» Das Radfahren sei für sie nach einer unglücklichen Beziehung beinahe so was wie eine Therapie gewesen: «Es hat mich gestärkt und selbstsicher gemacht.» Diese Erfahrung wolle sie anderen weitergeben.
Velofahrkurse für Anfängerinnen
Özlems Gruppe trifft sich mindestens einmal im Monat. Die Frauen fahren gemeinsam aus, unterstützen sich gegenseitig beim Reparieren der Velos und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus – und sie geben Anfängerkurse für Frauen, die noch nicht Fahrrad fahren können.
Aus dem freiwilligen Engagement hat sich inzwischen sogar ein Job für Özlem ergeben: Die Public-Relation-Spezialistin arbeitet heute für eine Stiftung, die sich für die Förderung von körperlicher Aktivität in der Türkei einsetzt. Im Rahmen ihres Projekts organisiert sie etwa Velofahrkurse für Kinder und Reparaturworkshops für Interessierte.
Ein Zeichen gegen Sexismus
Eine andere wichtige Veloinitiative in der Türkei ist der Fancy Women Bike Ride. Bei diesem Event ziehen sich Frauen schick an und fahren gemeinsam aus. Die Bewegung nahm ihren Anfang 2013 in Izmir. Inzwischen hat sich der Anlass auf über 50 Städte und total 30000 Teilnehmerinnen in der Türkei ausgedehnt. In diesem Jahr findet der Fancy Women Bike Ride am 23. September statt – und hat sogar einen Ableger in Milano und in Bern.
Zu Beginn ging es den Radfahrerinnen vor allem darum, dass sie sich nicht von Männern sagen lassen wollten, welches Outfit auf dem Velo zu tragen sei: Lycra versus casual oder eben schick. «In den vergangenen Jahren hat sich der Druck auf Frauen in der Türkei jedoch verstärkt», sagt Özlem: So gebe es etwa mehr sexuelle Übergriffe, die angezeigt würden und bei denen es dann doch nie zu einer Verurteilung käme. «Frauen, die belästigt werden, müssen sich oft anhören, sie hätten sich falsch verhalten oder falsch gekleidet.» Der Fancy Women Bike Ride setzt darum heute auch ein Zeichen dafür, dass Frauen auf dem Fahrrad keine Sexobjekte sind – selbst wenn sie sogar extra hübsch zurechtgemacht sind.
Toller Artikel / spannendes Thema – mehr davon!
Hallo liebe Andrea,
hoffentlich findest du die Velo- Mit- Fahrerinnen. Zu mehreren machts einfach mehr Spaß. Auch könnte dann die Frauen dir bei der Türkischen Sprache behilflich sei.
Vielleicht Frauenpower auf 6 Rädern.
Wo bist du jetzt in der Türkei?
Herzlichts Otto
Ja, in der Türkei. Schwarzmeerregion. Morgen schreibe ich einen neuen Beitrag dazu 🙂