Mein Aufenthalt im zentralasiatischen Binnenstaat Turkmenistan war kurz und heftig: Ich hatte eine unangenehme Begegnung mit einem Grenzpolizisten, einen Platten mit defekter Pumpe und bloss fünf Tage für 500 Kilometer.
Turkmenistan gilt unter Velotouristen als schwierig. Denn für Individualreisende vergibt die Regierung bloss Transitvisen von maximal fünf Tagen. Zudem gibt es immer wieder Leute, die abgewiesen werden. So zitterte auch ich um mein Visum für die zentralasiatische Republik, das ich in Teheran beantragte. Wäre mir das Einreisen verweigert worden, hätte dies mein Projekt gefährdet. Denn im Süden liegt Afghanistan – derzeit ein No-Go – und die Nordroute – via Aserbaidschan, Kaspisches Meer und Kasachstan – hätte mich im Zeitplan ziemlich zurückgeworfen.
Die Gründe für ein Niet der turkmenischen Behörden sind unklar. Unter Travellern kursiert die Vermutung, dass Reisen während turkmenischen Feiertagen und via der Hauptstadt Aschgabat Ausschlusskriterien sind. Auch ein Bart auf dem für das Visum mitgelieferte Foto und oder auf dem Foto im Pass sollen hinderlich sein.
Eine der schlimmsten Diktaturen der Welt
Das Land unter Führung von Gurbanguly Berdimuhamedow gilt als eine der abgeschottetsten und repressivsten Diktaturen der Welt. Sogar die im Iran lebende turkmenische Minderheit ist froh, dass sie nicht bei ihren Stammesgenossen lebt. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen rangiert das Land stets auf dem drittletzten Platz, vor Nordkorea und Eritrea.
Vor dem Grenzübertritt fühlte ich mich folglich wie eine Maus, die sich ins Schlangennest begibt. Ich liess eine Arztkontrolle mit Fiebermessung über mich ergehen, beantwortete artig alle Fragen, zeigte meinen Pass insgesamt sechs Mal und dudelte widerstandslos, dass die Zollbeamtinnen durch mein Necessaire gingen und an den Tuben mit Burt’s Bees-Lotion und Salben schnupperten, die ich so gerne mag und dir mir mein Freund deshalb mit Claudia nach Teheran schicken liess. Als ich nach zwei Stunden endlich durch war, liess die Konzentration nach.
Das heisst, ich wollte eigentlich bloss Geld wechseln und fuhr deshalb nach dem Grenzübergang nicht gleich nach Norden, sondern nach Süden in die zwei Kilometer entfernte Stadt Sarahs. In jeder normalen Grenzstadt gibt es Wechselstuben, nicht so in Turkmenistan. Schliesslich fand ich eine Bank, die aber geschlossen war. Logisch. Es war Sonntag und da ich nicht mehr im Iran war, war nicht der Freitag, sondern wie zu Hause der Sonntag der Ruhetag.
Neues Land, neue Verhaltensregeln
Während meiner Irrfahrt durch das Kaff wurde ich von einem Mann angehalten, der auf mich einredete und mich am Arm packte. Ich dachte, er wollte mir die lokale Währung verkaufen und schüttelte ihn ab, da ich mich nicht auf einen Schwarzmarkthändler einlassen wollte. Auf dem Weg aus der Stadt wurde ich erneut aufgehalten. Dieses Mal von einem Mann, der Englisch sprach und behauptete ein Grenzbeamter in Zivil zu sein.
Achtung Fake, nur Kopie vom Pass zeigen, Zeugen haben: Das hatte ich mir im Iran, wo es falsche Polizisten geben soll, eingebläut. Anwenden musste ich dieses Reaktionsmuster in der islamischen Republik nie – und in Turkmenistan war es total fehl am Platz.
Nach einem ersten Stopp setzte ich mich erneut in Bewegung, suchte die Nähe von Passanten und wollte dem Typen die Kopie meines Passes aushändigen.
Erst da bemerkte ich, wie er zitterte vor Wut. Shit. Dieser hier war echt. Und ich hatte seien Autorität vor Zeugen untergraben. Und überhaupt: In Turkmenistan gibt es keine falschen Polizisten. Hier fürchten die Leute die Hand des Staates so, dass es praktisch keine Kriminalität gibt. Gerade noch rechtzeitig wechselte ich auf hilflose Touristin, zückte meinen Pass, entschuldigte mich reumütig und liess mir sagen, dass ich mit meinem Transitvisum auf direkten Weg nach Usbekistan zu fahren habe – und mir Sarahs darum verboten sei.
Das Problem mit der fehlenden Landeswährung löst sich abends von selbst. Ich traf in einem Strassenrestaurant drei Radfahrer, die aus der anderen Richtung kamen. Da wir uns über die WhatsApp-Gruppe «Cycle the World Q&A» verabredet hatten, erwarteten sie mich bereits mit Bier. Was für ein Fest nach eineinhalb Monaten Iran. Wir tauschen Geld und SIM-Karten und verbrachten die Nacht gemeinsam in dem mit Wassermelonen gefüllten Vorratshäuschen des Restaurants.
Den nächsten Morgen vertrödelte ich mit Alice aus Hongkong. Als Soloradfahrerin mit China-Erfahrungen war sie eine interessante Gesprächspartnerin für mich.
Die flachen 100 Kilometer bis Mary kann ich auch nach dem Mittag noch in Angriff nehmen, dachte ich. Das wäre auch ohne Stress gut machbar gewesen, wenn ich dann nicht fünf Kilometer nach dem Start einen Platten gehabt hätte. Ich versuche es erst mit Pumpen, realisierte aber bald, dass da Luft und Hoffnung verloren war. Weil mir der Sonnenuntergang im Nacken sass, wollte ich schnell machen und schob das E-Bike noch mit der Pumpe am Rad an den Strassenrand. Dabei ging sie kaputt.
Einen Platten und ohne Pumpe in der Wüste? Shit. Noch war etwas Luft im Pneu. Geistesgegenwärtig setzte ich mich aufs Rad und kurbelte so schnell wie möglich zurück zum Restaurant, wo ich tatsächlich eine Pumpe ausleihen und mich ans Flicken machen konnte.
Das schlechteste Hotel ever
Kurz nach Sonnenuntergang traf ich in Mary ein. Dort erwartete mich ein Superlativ: Das Hotel mit dem schlechtesten Preis-Leistungsverhältnis ever. Das Badezimmer sah in etwa so aus, wie man sich die sanitären Anlagen in einem Abbruchhaus vorstellt. Unterirdisch. Überall Staub und Dreck, aus dem Duschkopf kam kein Wasser, dafür lief die Spülung vom Klo ununterbrochen und natürlich gab es weder Toilettenpapier noch Badetuch oder Seife.
Das Ganze kostete mich 22 Dollars, in einem Land, in dem man für einen Döner weniger als einen Franken bezahlt. Im Iran hätte ich für diesen Preis in einem Viersternehaus nächtigen können. Natürlich hätte es in der Stadt noch andere Hotels gegeben. Aber ich wollte dem Diktator nicht mehr Geld als nötig in die Tasche stecken. In Turkmenistan ist es der einheimischen Bevölkerung verboten Gäste aufzunehmen, wenn es im Ort ein für Touristen lizenziertes Hotel gibt. Hier soll nur der Staat am Geschäft mit den Fremden profitieren – und dem ist es egal, wie die Hotels aussehen, Hauptsache der Dollar rollt.
Turkmenistan hat auch gute Seiten
Es gab in Turkmenistan dennoch ein paar positive Punkte: Kein Kopftuchzwang, einheimische Radfahrer und absolute Sicherheit. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele Polizisten gesehen, wie in diesen fünf Tagen. Sie stehen mit ihren schwarzweissen Knüppeln am Strassenrand und machen unablässig Geschwindigkeitskontrollen. Wahrscheinlich wird ihre Anzahl für den Ernstfall künstlich hochgehalten und solange der nicht eintrifft, muss man sie schliesslich irgendwie beschäftigen.
Und dann wäre da noch das Unesco-Weltkulturerbe Merv: Ich fuhr zwar nur 40 Kilometer an der einstigen Hauptstadt des Seldschukenreichs vorbei, sah aber erstens keine Wegweiser und hatte zweiten keine Zeit für eine Besichtigung. Das Sightseeing ist den Besuchern vorenthalten, die einen so genannten Letter of Invitation haben. Dieses Papier erhält man bloss, wenn man über eine turkmenische Reiseagentur bucht, ständig mit einem Führer unterwegs ist – und der Staat dementsprechend viel kassiert.
Turkmenistan ist ein No-Go
Trotzdem oder gerade deshalb finde ich: Dieses Land sollte man sich für später aufsparen. Wer heute dahin fährt, subventioniert mit seiner Reise bloss die Diktatur. Ich freue mich auf den Tag, an dem ich analog zu Sofia an einer «Free Walking Aschgabat Tour» teilnehmen und mit leichtem Frösteln auf die Absurditäten der Vergangenheit zurückblicken kann.
Laut offiziellen Quellen haben die Turkmenen Berdimuhamedow im vergangenen Jahr mit 97,7 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Es war eine Wahl ohne Wahl, denn der Präsident wählte seien Gegner selber aus. Die Opposition ist entweder exiliert, weggesperrt oder verschwindet einfach.
An meinem dritten Übernachtungsort, einem Hotel an einer Eisenbahnstation, war ein ganzes Regal mit Büchern von und über den Präsidenten ausgefüllt. Er zeigte sich darin mit Alten, Kindern und Pferden; beim Einweihen von Gebäuden, auf dem Rennrad oder als Arzt im Operationssaal – und das stets ganz proper und mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Ein Bild wagte ich davon nicht zu machen, denn ich hatte Angst, dass mein Handy am Zoll kontrolliert werden würde – und Fotos vom Präsidenten, wie auch von Polizisten und staatlichen Gebäuden sind verboten.
Prachtbauten zeugen vom Grössenwahn
Die meisten Turkmenen sind bettelarm und das obwohl unter ihrem Staatgebiet das viertgrösste Erdgasvorkommen der Welt liegt. Die Ressourcen werden auch tüchtig gefördert. Bloss sieht die Bevölkerung nichts vom Erlös. Und wenn dann bloss in Form von überdimensionierten Pferderennbahnen, Kulturpalästen und Einkaufszentren, die in der Regel total ausgestorben sind, weil sowieso niemand Geld für solche Spässe hat. Die Prachtbauten haben sie dem Grössenwahn des Diktators zu verdanken, der damit in die Geschichte eingehen will. Dafür sind die Strassen abseits der Hauptverkehrswege meist nicht asphaltiert und das Leitungswasser nicht trinkbar.
Ich entnehme deinem Post zwei Dinge: 1. Du hast dich offensichtlich in den Iran verliebt – schön so 🙂 2. Turkmenistan 2018 klingt wie Albanien mit Hoxha…
Bloß raus aus diesem Land Turkmenistan weiter nach….? Bitte keinen platten mehr und gute weiterfahrt! Wird das Wetter bald zu kalt? Schon mal schöne Weihnachtszeit in der Fremde. Gibt es überhaupt eine Weihnachtszeit in diesem Land?
Herzlichst Otto
Hallo. Nach deinem bericht bin ich ein weiteres mal froh darüber, dass mein visa zweimal abgelehnt wurde (juni2017) für diesen staat. Zuerst war es zwar sehr ärgerlich. Aber ich habe danach so viel gutes erlebt auf meiner nicht geplanten strecke durch kasachstan dem norden von kirgistan und usbekistan. Somit hielt sich meine trauer in Grenzen. Liebe Grüsse aus laos. Mathias von http://www.umunum.ch