Wenn dieser Bericht erscheint, werde ich den Iran bereits verlassen haben. Das ist besser so. Denn in der Islamischen Republik Iran darf man nicht öffentlich sagen, was man denkt, und schreiben schon gar nicht. Das tut mir so wahnsinnig leid für die vielen liebenswürdigen Menschen, die ich hier kennenlernen durfte.
Weltmeister in Sachen Gastfreundschaft
Die Iraner toppen in Sachen Gastfreundschaft alles, was ich bisher erlebt habe. Das liegt unter anderem am «Taarof»: Diese Anstandsregel sieht vor, dass man dem Gegenüber Dinge aus reiner Höflichkeit anbietet. So offerierte mir etwa eine Sitznachbarin im Bus ihr Sandwich, bevor sie sich getraute, selber reinzubeissen. Als ich dankend abwinkte, schien sie sichtlich erleichtert. Es gibt auch ernst gemeinte Angebote, aber man erkennt sie nur, wenn man mindestens drei Mal abgelehnt hat.
Das Problem: Manchmal möchte man sich wirklich nicht einladen lassen, wird aber regelrecht dazu gezwungen. Da war zum Beispiel ein Ladenbesitzer, der partout kein Geld akzeptierte für das alkoholfreie Bier, das ich gemeinsam mit drei weiteren Radtouristen bei ihm kaufen wollte. Und als ob das nicht genug gewesen wäre, steckte er uns auch noch Früchte und Schokolade zu. Er sprach kein Wort Englisch, zeigte uns aber Instagram-Bilder: er auf dem Bike. Oder das Paar, das mich auf der Strasse ansprach: Die beiden fütterten mich zwei Tage lang durch. Und als ich am letzten Abend im Restaurant in weiser Voraussicht auf dem Gang zur Toilette bezahlen wollte, verpfiff mich der Kellner bei den beiden.
Mehr als das Land der Mullahs
Dabei schwimmt die Bevölkerung überhaupt nicht im Geld. Im Gegenteil: Die Landeswährung ist wegen der neuen Sanktionen regelrecht abgestürzt. Der Rial war vor einem halben Jahr noch drei Mal so viel wert wie heute; Importprodukte haben sich massiv verteuert. Die Löhne aber sind gleich geblieben. Viele Iraner behandeln ausländische Gäste dennoch besonders zuvorkommend, weil sie ihnen beweisen möchten, dass der Iran mehr als das Land der Mullahs ist. Dass es doch letztlich die Menschen sind, die zählen – und nicht Politik und Religion.
Ein Fall für Amnesty International
Das stimmt. Trotzdem darf man nicht vergessen: Das Regime ist böse, wirklich richtig böse. Laut Amnesty International sind im vergangenen Jahr 517 Menschen in der Islamischen Republik Iran hingerichtet worden. Mindestens fünf der Exekutierten waren zur Zeit der Straftat minderjährig. In ihrem aktuellen Report schreibt die Menschenrechtsorganisation: «Die Gerichtsverfahren, auch solche, die mit Todesurteilen endeten, waren grundsätzlich unfair. […] Es war nach wie vor üblich, Inhaftierte zu foltern oder anderweitig zu misshandeln, insbesondere während Verhören.»
Besonders nahegegangen ist mir das Schicksal der iranisch-kanadischen Fotojournalistin Zahra Kazemi. Sie wurde 2003 verhaftet, weil sie Angehörige von Gefangenen vor einer berüchtigten Haftanstalt fotografiert hatte. Sie starb an den Folgen der Folter. Was genau geschah, ist unklar, weil der Leichnam nie freigegeben wurde. Einige Quellen berichten von ausgerissenen Fingernägeln, zahlreichen Frakturen und Verletzungen am Geschlechtsorgan.
Laut «Reporter ohne Grenzen» sitzen derzeit mehrere Journalisten, Online-Aktivisten und Blogger in Haft, darunter Narges Mohammadi, Journalistin, Frauenrechtlerin und Sprecherin des Zentrums der Verteidigung für Menschenrechte.
Soll man in totalitär geführte Staaten reisen? Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Tatsache ist, dass mit dem Tourismus immer auch Devisen ins Land fliessen, die solche Regimes indirekt unterstützen. Bittet man Iraner und Iranerinnen um ihre Meinung, ist die Antwort klar: Kommt – je mehr, desto besser! Für diese Menschen sind Touristen ein Tor zur Welt. Und viele Einheimische hoffen auch, dass die Besucher mit ihrem westlichen Lebensstil zum Wandel beitragen. Ich hoffe mit ihnen.
Iran und die Eigenheiten: Für mich unvorstellbar sich so zu verbiegen müssen. Was für ein Leben, traurig, beängstigend!. Politik macht`s möglich!
Andrea weiterhin gute fahrt und gute Wege! Viel Glück !
Herzlichst Otto
Weiterhin alles Gute. Passen Sie auf sich auf!
René
Danke für deine differenzierten Bericht der kulturellen Eigenheiten der Iraner und ihrem Regimes.
Andrea, weiter eine problemlose Fahrt durch Turkmenistan und weitere wunderbare Begegnungen.
Grüsse aus dem Züri-Oberland
Hut ab! Es ist eine Bewunderung, was du machst. Freue mich. Ich möchte gerne machen, wenn ich genug Zeit habe. Pensionierungsalter. Ein Traum, den ich schon vor 20 Jahren vorhabe. Danke dir für vielen Erlebnisse.
Weiter so, hab Spass und Glück.
Thien