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Grandiose Landschaften und verkehrsfreie Strassen: Aber was, wenn frau da mitten im Nirgendwo von einem Mann angegriffen wird? (Bild: Sina Mirzazadeh)

Angriff im Iran

Die schlimmsten Befürchtungen sind eingetroffen: Am zweiten Tag im Iran wollte mich ein Mann vom Velo holen, ein Hirte. Er hielt einen Stock in meine Speichen und schlug mich anschliessend damit. Mit einem irren Blick in den Augen.

Angst hatte ich vor lauter Wut keine: Dieser Depp wollte doch tatsächlich meinen teuersten und treusten Partner beschädigen, mein Ein und Alles, mein Flyerchen. «Was ist falsch mit dir», schrie ich ihn auf Englisch an, als ob er das besser verstehen hätte als Deutsch. Und dann rief ich nach meinem kleinen grossen Bruder Sina, der zu diesem Zeitpunkt etwa 100 Meter vor mir fuhr.

Ungefähr so weit fuhr Sina zum Zeitpunkt des Angriffs vor mir. Leider habe ich es verpasst, ein Bild vom Angreifer zu machen. Das wäre nicht nur für diesen Blog gut, sondern auch für meine Sicherheit. (Bild: Andrea Freiermuth)
Ungefähr so weit fuhr Sina zum Zeitpunkt des Angriffs vor mir. Leider habe ich es verpasst, ein Bild vom Angreifer zu machen. Das wäre nicht nur für diesen Blog gut, sondern auch zu meinem Schutz. (Bild: Andrea Freiermuth)

Sexuelle Belästigung im Iran

Hätte ich die Warnungen von Ewa Świderska doch nicht in den Wind schlagen sollen? Die Polin war im vergangenen Jahr mit dem Fahrrad im Iran und erzählte von mehreren unangenehmen Begegnungen mit Männern, darunter ein Vergewaltigungsversuch. Nach diesem Erlebnis begann sie Quotes von anderen Radfahrerinnen zu sammeln, die solo durch die islamische Republik fahren wollten. Sie hat die Zitate auf ihrem Blog veröffentlicht (für Englisch man muss etwas nach unten scrollen). Eine Sammlung an sexuellen Belästigungen, die einem die Lust, in dieses Land zu fahren, komplett nehmen kann.

Dass mich der Mann wegen unsittlicher Kleidung angriff, konnte nicht sein. Ich trage im Iran ein Kopftuch unter dem Helm und einen knielangen schwarzen Kittel über den Bikehosen. Einzig die Waden sind in den Beinlingen figurbetont. Aber Leggings sind auch bei Iranerinnen beliebt, frau muss einfach die Hüfte bedecken und darf nicht zu viel Oberschenkel zeigen.

Mein Velo-Outfit im Iran: Bikehosen unter einem schwarzen Kittel, der bis fast zu den Knien reicht. (Bild: Selfie)
Mein Velo-Outfit im Iran: Bikehosen unter einem schwarzen Kittel, der bis fast zu den Knien reicht. (Bild: Selfie)
Ist die Aufschrift auf meinen Rücken eine Provokation? (Bild: Sina Mirzazadeh)
Werde ich mit der Aufschrift auf dem Rücken für eine Freundin des Erzfeindes gehalten? (Bild: Sina Mirzazadeh)

Provokation auf dem Rücken

Vielleicht doch die Aufschrift auf meinem Rücken? Da steht: «New York 55 Alexander». Natürlich hätte ich an dieser Stelle lieber einen frommen Vers aus dem Koran zitiert gehabt, aber das gab es in Jerewan, wo ich mich für den Iran einkleidete, leider nicht zu kaufen. Sina meinte zudem, New York sei kein Problem. Er selber trägt zuweilen sogar ein T-Shirt mit der amerikanischen Flagge.

Was also war das Problem mit diesem Typen? Wollte er mich vom Velo holen, weil ich eine Frau bin? Fahrradfahren ist Frauen im Iran nicht offiziell verboten, aber es gibt einige Geistliche, die Velo fahrende Frauen als unsittlich erachten. War ich hier etwa an einen Fundamentalisten gelangt, der mir seine Weltsicht aufzwingen wollte?

Ganz einfach ein Verrückter

Sina war schnell zur Stelle und baute sich vor dem Typen auf. Zu meinem Erstaunen wandte er sich dann aber bald dem Knaben zu, der etwas hilflos neben dem Aggressor stand. Es stellte sich heraus, dass der Mann mental zurückgeblieben war.

Das erklärte alles. Ich war unendlich erleichtert. Das hier hätte mir auch in jedem anderen Land passieren können. Okay, vielleicht weniger in Mitteleuropa, wo Menschen mit einem geistigen Handicap eher weg gesperrt oder sonst wie versorgt werden, aber trotzdem: Dieser Angriff hatte nichts mit Frausein und Fahrradfahren zu tun.

Gut eingefahren

Inzwischen liegen weitere vier Etappen hinter mir. Ich habe sie gemeinsam mit Sina bewältigt, bin jedoch zum Teil absichtlich vorgefahren, um zu schauen, wie die Leute auf mich reagieren. Wenn ich allein am Strassenrand auf ihn wartete, hielt oft ein Auto und ein oder zwei Männer stiegen aus, um Selfies mit mir zu machen. Das kann mit der Zeit anstrengend werden, war aber nie bedrohlich.

Cheeeeees: Eines der vielen Selfies, um das ich gebeten werde. (Bild: Selfie)
Cheeeeees: Eines der vielen Selfies, um die ich gebeten werde. (Bild: Selfie)

Wir hatten wunderbare Erlebnisse mit unglaublich hilfsbereiten Menschen: Zweimal wurden wir zum Übernachten in Privathäuser eingeladen und einmal haben sich gleich mehrere Parteien bemüht, uns mit unseren Velos mitzunehmen. Ja, wir haben für 40 hügelige Kilometer Autostopp gemacht. Und ich schwöre bei Allah, das war nicht wegen zu wenig Akku. Nein, eine von zwei Batterien war noch komplett voll. Aber Sina wollte an jenem Abend unbedingt noch das Landhaus seiner Eltern erreichen, wo wir zwei Tage mit seinen überaus liebenswürdigen Verwandten verbracht haben.

Mein Flyer nimmt das erste Mal auf rund 6500 Kilometer das Taxi: Aber nicht wegen leeren Batterien! (Bild: Andrea Freiermuth)
Mein Flyer nimmt das erste Mal auf rund 6500 Kilometer das Taxi: Aber im Fall nicht wegen leeren Batterien! (Bild: Andrea Freiermuth)
Bei Sinas Verwandten Hadithe und Zafar essen wir traditionell, auf dem Teppich. (Bild: Andrea Freiermuth)
Bei Sinas Verwandten Hadithe und Zafar essen wir traditionell, auf dem Teppich. (Bild: Andrea Freiermuth)

Ganz zu schweigen von den Landschaften: Zeitweise fühlt es sich an, als ob wir durch ein Bilderbuch fahren würden. Von ariden Hochebenen bis zu üppigen Grün. Der Iran scheint landschaftlich unglaublich vielfältig zu sein – und dabei habe ich doch erst einen kleinen Zipfel gesehen.

Seit gestern bin ich allein unterwegs: Weil Sina wieder an die Uni muss, ist er in Astara in den Bus nach Teheran gestiegen. Ich werde nun in rund sechs Etappen in die Hauptstadt fahren. Vielleicht solo, vielleicht auch nicht. Ich stehe in Kontakt mit einem Deutschen Pärchen, das derzeit auf gleicher Höhe mit mir unterwegs ist. Vielleicht werde ich mich bei diesen beiden anschliessend.

Nützliche Tipps für Solofrauen

So oder so: Sorgen muss man sich nicht um mich machen. Ich kann jederzeit meinen kleinen grossen Bruder Sina anrufen, falls es ein Problem gibt. Er hat mir übrigens auch noch ein paar gute Tipps mit auf den Weg gegeben: Falls ich mich belästigt fühle, solle ich auf den Steuersatz und das Navigationsgerät auf meinem Lenker zeigen und «GPS Police» sagen und wenn möglich das Handy zücken, um Fotos von einem allfälligen Übeltäter zu machen – so wie Küchengeräte die Frauen in den 50er-Jahren befreit haben, schützt die Technik heute Radfahrerinnen in totalitären Staaten.

Ps. Diesen Blog stelle ich erst eine Woche nach dem Vorfall aufs Netz. Erst war ich etwas ab vom Schuss und hatte deswegen kein gutes Wifi. Später war ich mit sozialen Verpflichtungen gegenüber meinen zahlreichen Gastgebern beschäftigt. Davon im nächsten Beitrag mehr.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Wiebke Tschorn

    Hallo Andrea! Wow tolle (und interessante) Erlebnisse!!! Eine richtig gute Weiterfahrt dir. Macht Spaß zu verfolgen! VG Wiebke

  2. Sam

    Union Jack = Amerikanische Flagge? 😳

    1. Andrea Freiermuth

      Peinlich, peinlich…Ist korrigiert…

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