Über das Portal Warmshowers.org finden Veloreisende eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit und Kontakt zu Einheimischen. In der Türkei gibt es besonders engagierte Gastgeber.
Mit Fotos von Martin Bichsel
Über die türkische Gastfreundschaft habe ich ja schon mal geschrieben. Aber es muss nochmals sein. Dieses Mal mit Fokus Warmshowers.org. Das Portal ist sowas wie Couch Surfing für Radfahrer. Das heisst, Velobegeisterte aus aller Welt öffnen ihre Türen für Leute, die mit dem Fahrrad unterwegs sind und eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit und eine warme Dusche suchen.
Sowohl mein Reisepartner Martin Bichsel wie auch ich sind seit mehreren Jahren Mitglieder dieser Plattform und haben dementsprechend auch schon viele Radfahrer in unseren Wohnungen in der Schweiz beherbergt. Wobei ich in den letzten vier Jahren keine Gäste mehr empfangen habe, weil ich erst in einer Wohngemeinschaft lebte und meinen WG-Kollegen keine wildfremden Gäste zumuten wollte – und später war die Zweizimmerwohnung mit Freund und Kater etwas klein.
Bloss eine 1-Zimmerwohnung? Kein Problem!
Jetzt weiss ich: Beides ist kein Grund, um die Türen verschlossen zu halten. Unsere erste Warmshowers-Gastgeberin ist Burcu Bulak (32): Wir senden ihr einige Stunden, bevor wir bei ihr eintreffen, eine WhatsApp-Nachricht und haben wenige Minuten später eine Zusage.
Die Pharmaangestellte lebt in einer Einzimmerwohnung in der Provinzstadt Ereğli. Sie teilte also quasi ihr Schlafzimmer mit uns. Burcu fährt gar nicht Rad und ist eigentlich nur auf Warmshowers, weil sie keine Couch-Surfing-Gäste mehr hat, seit sie aus Istanbul fortgezogen ist. Auf ihrem Profil schreibt sie: «Ich habe schon über 20 Länder besucht und es sollen mindestens noch 30 mehr werden.» Ihrem Englisch merkt man an, dass sie gerne und viel in der für Türken schwierigen Fremdsprache spricht. Dank ihren guten Sprachkenntnissen war der Abend mit ihr besonders spannend. So erfuhren wir von ihr etwa viel über die Umweltprobleme in der Türkei.
Reha-Klinik Ramazan
In Bartin kommen wir bei Ramazan Kılınç (33) unter. Und das genau zum richtigen Zeitpunkt, denn er meint zur Begrüssung: «Ihr könnt bleiben, solange ihr wollt.» Für Fotograf Martin eine extreme Erleichterung, denn an jenem Tag ist seine Magen-Darm-Geschichte gerade sehr akut und er erholt sich dann tatsächlich insgesamt drei Tage bei Ramazan. Der Informatiker ist selber ein passionierter Globetrotter und hat schon über hundert Gäste empfangen.
WG-Leben in der Provinz
In Ordu kontaktieren wir Ayse Türkmen. Wegen einem Todesfall in der Familie muss sie uns aber leider einen Korb geben. Sie fühlt sich dann dennoch für uns verantwortlich und organisiert kurzerhand eine Freundin, die uns aufnimmt. So landen wir bei Merjem Kulcu (39), einer Englisch-Lehrerin mit einem für die Provinz unkonventionellen Lebensstil. Sie teilt ihre Wohnung mit einem jungen Mexikaner, der ebenfalls Englisch unterrichtet. «Das provoziert immer wieder Tuscheleien in der Nachbarschaft», erzählt Merjem und lacht herzhaft. Gemischt geschlechtliche WGs gebe es ausserhalb von Metropolen wie Istanbul oder Ankara eigentlich nicht – und wenn doch, dann schlüge die Fantasie der Nachbarn Purzelbäume.
Ein Gastgeber, der alles gibt
Unser letzter Warmshowers-Gastgeber in der Türkei ist Mustafa Gurbet (31). Der Geologiestudent schreibt auf seinem Profil: «Ich benutze Warmshowers, weil ich mein Englisch verbessern will.» Für viele, die ihre Türen von uns öffnen, ist die Gelegenheit Englisch zu sprechen, eine Motivation Fremde einzuladen. Das schmälert ihr Engagement für das Wohl ihrer Gäste aber keineswegs, im Gegenteil. Mustafa stellt Martin sogar sein Bett zur Verfügung, mit dem Argument, er hätte noch ein anderes. Mich quartiert er auf dem Sofa ein. Und er selber schläft auf dem Boden – was wir aber erst am nächsten Morgen mit grossem schlechten Gewissen realisieren.
Gratis Restaurant für Veloreisende
Und dann gibt es noch jene, die aus unterschiedlichsten Gründen niemanden bei sich zu Hause übernachten lassen können und doch einen Weg gefunden haben, um bei Warmshowers mitzumachen. So etwa Erim Kadioglu (37), der in Ordu ein Restaurant führt und dort seit rund vier Jahren Tourenradfahrer kostenlos verköstigt. Er erklärt sein Engagement für verschwitzte und allzeit hungrige Velofahrer folgendermassen: «Ich habe noch keinen Radreisenden getroffen, der ein schlechter Mensch war. Wer reist, wird offener. Religion spielt da keine Rolle mehr, sondern nur noch der Mensch.» Er selber habe derzeit leider keine Zeit zum Reisen, da er an das Restaurant seiner Familie gebunden sei. Aber egal: «Dank den Radreisenden kommt die Welt zu mir.»
In der Türkei gibt es im Vergleich zur Zahl der aktiven Radfahrer besonders viele Warmshowers-Gastgeber. Das manifestiert sich mitunter an der Mitgliederzahl der Facebook-Gruppe Warmshowers Türkiye, wo man alternativ zur Hauptseite auf die Suche nach einem Host gehen kann. Die Grösse der türkischen Gruppe liegt bei rund 3400 Mitgliedern – Warmshowers Switzerland hat gerade mal fünf Mitglieder.
Ich wünsche euch weiterhin solche Momente auf eurer Reise und viele nette Menschen. Es wäre schön, wenn es noch mehr solche Menschen auf der Welt geben würde. Viel Glück und herzlichen Dank für die interessanten Reiseberichte. LG