You are currently viewing In Transkaukasien
Der Batumi Tower, in dem sich Le Méridien niedergelassen hat. Auf der Rückseite ist übrigens ein Karussell in die Fassade integriert. (Bild: Andrea Freiermuth)

In Transkaukasien

Eine Woche Transkaukasien: Das sind sieben Tage voller Gegensätze. Am Badeort Batumi glitzert und glänzt alles. Im Hinterland sind die Leute arm – und trotzdem extrem spendabel. 

Georgien lag zwar schon immer auf meiner Route, aber ich hatte das Land gar nie richtig auf dem Radar. Zum einen, weil ich immer wusste, dass ich bloss ein paar hundert Kilometer auf georgischen Boden fahren würde. Zum anderen, weil die Türkei geprägt war von unzähligen Einladungen zum Teetrinken, die allesamt interessanter waren, als einsames Einlesen vor dem Computer – zudem funktioniert Wikipedia als schnelle Infoquelle in Anatolien nicht, weil Staatschef Erdogan die Online-Enzyklopädie sperren liess.

So kam es, dass mich der transkaukasische Staat praktisch unvorbereitet traf, mit seiner ganzen Wucht, mit Batumi.

Petrodollars am Schwarzen Meer


Auf der Desktop-Version von Shebikerider erscheint hier ein Video. Auf mobile bitte hier klicken.

Bloss eine halbe Stunde nach Grenzübertritt waren wir schon in der einst kleinen Hafenstadt. Batumi ist mit rund 150 000 Einwohner bloss gleich gross wie Bern. Aber Petrodollar aus Kasachstan und Aserbaidschan haben hier in den vergangenen Jahren unzählige Hochhäuser, Luxushotels und Spielcasinos aus dem Boden spriessen lassen. Viele dieser Prestigetempel sind noch im Rohbau und man fragt sich, ob all diese Betten je gefüllt werden können. Einverstanden: 2017 haben mehr als 3.4 Millionen Menschen Georgien besucht,  rund 27 Prozent mehr als im Vorjahr – aber trotzdem.

In den Plattenbauten gibt es keine Tumbler. Im schicken Hochhaus wohl schon. (Bild: Martin Bichsel)
In den Plattenbauten gibt es keine Tumbler. Im schicken Hochhaus wohl schon. (Bild: Martin Bichsel)

Batumi ist Las Vegas und Dubai im Kleinen, aber nicht weniger schillernd. Zumal hier alles noch nach Aufbruch riecht. Dass es neben den pickfeinen Hochhäusern auch noch da und dort ein Plattenbau mit abblätterndem Putz gibt, schmälert diesen Eindruck nicht. Im Gegenteil: Im Kontrast mit den Zeugen der Vergangenheit wirkt die Zukunft noch viel verheissungsvoller. Und ein schönes Detail: Auf der Strandpromenade hat es sogar einen Fahrradstreifen – und dort fährt praktisch alles elektrisch.

Das andere Batumi

Ladenpassage östlich der Altstadt: Viel Ramsch für wenig Geld. (Bild: Martin Bichsel)
Ladenpassage östlich der Altstadt: Viel Ramsch für wenig Geld. (Bild: Martin Bichsel)

Östlich der schmucken Altstadt beginnt eine andere Welt. Dort sind die Touristen nicht mehr in der Überzahl. Händler bieten hier ihre Waren bis aufs Trottoir feil. Die Preise sind tief und das Gewusel gross – und es stinkt überall nach Diesel.

Das richtige Transkaukasien

Der legendäre GAZ-53 wurde bis kurz nach dem Zusammenbruch der UDSSR in Russland hergestellt: Im georgischen Hinterland leistet er noch immer seinen Dienst. (Bild: Andrea Freiermuth)
Der legendäre GAZ-53 wurde bis kurz nach dem Zusammenbruch der UDSSR in Russland hergestellt: Im georgischen Hinterland leistet er noch immer seinen Dienst. (Bild: Andrea Freiermuth)

So auch auf den ersten Kilometern ins Hinterland, wo wir den Goderdzipass auf rund 2000 Höhenmeter bezwingen wollen. In Batumi ist die Dichte an Porsche Cayenne oder Mercedes-Benz GLE relativ gross. Die Landbevölkerung fährt Lada Nova oder GAZ-53.

Der erste Gebirgszug im kleinen Kaukasus wird zu einem einmaligen Erlebnis. Das nicht nur, weil wir auf der auf unserer Papierkarte orange eingezeichneten und damit als «wichtige Hauptstrasse» klassifizierten Route auf rund 40 Kilometer Schotter treffen.

Die Georgier sind wunderbare Menschen

Überall werden wir freudig begrüsst und beschenkt: Eine Witwe streckt mir zwei Äpfel entgegen. Ein Junge packt ein Kilo Birnen in meine Taschen. Ein Autofahrer stoppt und reicht mir Pflaumen durchs Fenster. Ein alter Mann bietet mir Nüsse an. Und nach dem Mittagessen serviert der Restaurantbesitzer noch eine Runde Schnaps aufs Haus. Klar: Es ist Herbst und die Bäume tragen Früchte bis zum Überfluss. Aber trotzdem. Zu Hause in der Schweiz würde das einem dahergefahrenen Velofahrer nie passieren.

Es berührt mich sehr, wie spendabel diese Leute sind. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil sie selber so wenig haben. Da war zum Beispiel dieser Mann, der uns zum Kaffee einlud und uns dann zum Abschied auch noch Käse, Süssigkeiten und Trauben einpackte. Er selber wohnte mit seiner Frau in einem Haus, dessen Küchenboden bloss aus festgestampfter Erde besteht.

Ein peinlich berührter Berner 

Mit Max aus dem Berner Mittelland war eigentlich ein Video geplant. Aber es gab ein technisches Problem... (Bild: Martin Bichsel)
Mit Max aus dem Berner Mittelland war eigentlich ein Video geplant. Aber es gab ein technisches Problem… (Bild: Martin Bichsel)

Der ehemalige Buchbinder und Lastwagenfahrer Max aus dem Berner Mittelland, den wir ein paar Tage später auf der Strasse treffen und der ebenfalls mit dem Tourenvelo unterwegs ist, meint: «Mit ist diese Gastfreundschaft peinlich. Ich bin doch nicht zum Sparen hier und würde diesen Leuten doch gerne etwas bezahlen.» Er sei im Vergleich so reich und habe dank der monatlichen Rente keine finanziellen Sorgen.

Zur Einordnung: Ein Frühstück gibt es im Hinterland von Georgien bereits ab einem Franken; mit Butterkeksen, Marmelade, Butter, Käse – und Sahne, die so dick ist, dass man sie aufs Brot streichen kann.

Max hat begonnen, den Einladungen aus dem Weg zu gehen. Ich überlege mir indes, was ich für eine Gegenleistung anbieten könnte. Geld funktioniert nicht. Einmal schenkte mir eine georgische Bäckerin ein Brötchen. Ich legte ihr zum Abschied einen Batzen hin und wollte mich dann schnell aus dem Staub machen. Aber Nein: Sie lief schreiend hinter mir her und wollte das Geld partout nicht annehmen.

Auf der Desktop-Version von Shebikerider erscheint hier ein Video. Auf mobile bitte hier klicken.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Angelo Rizzi

    Ganz toller Beitrag, danke, Andrea Freiermuth. Unglaublich, wie aufstrebend Georgien ist. Kürzlich habe ich gelesen, dass Georgien auch eine Jahrhunderte alte Tradition im Weinbau hat mit umwerfend guten Weinen und Rebsorten, die wir hier gar nicht kennen. Coop hat bereits einige im Sortiment. Denken Sie an mich, sollten Sie ein Glässchen probieren ;-). Weiterhin viel Erfolg auf Ihrer unglaublich spannenden Reise. Liebe Grüsse, Angelo Rizzi

  2. Peter Grimm

    Ganz herzlichen dank für die tollen Berichte, Bilder und Videos. Ich wünsche Dir weiterhin gute Fahrt, immer genug Luft in den Reifen und genug Power im Akku und vor allem auch wieder so nette Begegnungen mit dem Menschen unterwegs. Ich freue mich auf die kommenden Berichte

  3. Bea

    Georgien ist Spitze – eines der freundlichsten Völker, die ich kennenlernen durfte. An jedem Ort wird man extrem herzlich willkommen geheissen – gamardschoba! Und es gibt die herrlichsten Tomaten, vom Wein und dem übrigen Essen ganz zu schweigen… Viel Spass auf der weiteren Reise!

  4. Paul Patrick

    Great reporting, Andrea, very helpful for an aspiring e-tourer.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.