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Auf der Bettkante mit einem Iraner: Sina und ich planen die kommenden Etappen am Computer. (Bild: Martin Bichsel)

Doch nicht ganz allein im Iran

Alles kommt gut: Sina Mirzazade aus Teheran fährt mit mir in den Iran und hilft mir bei der Akklimatisation im Gottesstaat. 

Mit Fotos von Martin Bichsel

Das Schicksal meint es gut mit mir: Ich habe mit Sina Mirzazadeh (25) aus Teheran eine neue Reisebegleitung. Kennengelernt haben wir uns über «Warmshowers» – eine Plattform, die wie Couchsurfing funktioniert, aber nicht für Backpacker, sondern ausschliesslich für Radfahrer gedacht ist. Das heisst, auf dem Portal können Tourenfahrer eine kostenlose Unterkunft bei Privatpersonen finden, wenn sie sich gleichzeitig selber als Gastgeber registrieren.

Mein menschliches Schweizer Taschenmesser 

Nachdem mich meine beiden Schweizer Reisepartnerinnen versetzt hatten, habe ich dort im Forum einen Aufruf platziert. Als sich Sina meldete, dachte ich erst: «Wow, jetzt radle ich sogar mit einer Iranerin weiter.» Beim Blick auf das Profilfoto merkte ich dann schnell, dass nicht alle Sinas dieser Welt weiblich sind.

Dass ich mit dem jungen Mann trotzdem den richtigen Reisepartner gefunden habe, davon überzeugten mich die Kommentare auf seinem Profil. Da schrieb etwa ein gewisser Julian Kaspar aus Bayern, dass Sina sein menschliches Schweizer Taschenmesser gewesen sei und ihm bei allen möglichen Problemen im Iran aus der Patsche geholfen hätte. Gibt es für eine verunsicherte Schweizerin etwas Beruhigenderes als diese Worte?

Was war – und wie es weitergeht

Sina war bereits auf drei Etappen durch Georgien dabei: Hier auf der Schotterstrasse über den Goderdzipass. (Bild: Martin Bichsel)
Sina war bereits auf drei Etappen durch Georgien dabei: Hier auf der Schotterstrasse über den Goderdzipass. (Bild: Martin Bichsel)

Ich habe Sina bereits in der georgischen Hafenstadt Batumi getroffen und wir haben gemeinsam den rund 2000 Meter hohen Goderdzipass bewältigt. Anschliessend ist er nach Tiflis abgezweigt, während ich mit Fotograf Martin Bichsel weiter nach Jerewan gefahren bin, wo ich auf mein Iran-Visa warten muss. Martin ist inzwischen abgereist und Sina hat wieder aufgeschlossen. Der Plan ist, dass er mich bis über die Grenze in den Iran begleitet. Gerne würde er anschliessend nach Teheran mit mir weiterfahren, aber leider beginnt die Uni Ende Oktober wieder – und darum wird sich der angehende Tierarzt wahrscheinlich in Täbris in einen Bus setzen.

Wir sind erst wenige Tage gemeinsam unterwegs, und trotzdem habe ich schon unglaublich viel über den Iran gelernt. Etwa über regionale Unterschiede: Sina empfiehlt mir entlang des Kaspischen Meers nach Teheran zu fahren, weil viele Teheraner ihre Ferien in dieser Region verbringen und die lokale Bevölkerung darum aufgeschlossener gegenüber Fremden und ihrem westlichen Lebensstil ist.

Die Angst vor Übergriffen

Wir haben uns auch über mögliche sexuelle Übergriffe unterhalten. Für mich ist die Vorstellung, in ein Land zu reisen, in dem sich Frauen bis auf das Gesicht vollständig zu bedecken haben, weil Männer ansonsten sexuell erregt werden könnten, ziemlich bedrohlich. Dieser Gedanke geht einher mit der Vorstellung, dass sich Männer, die in einem solchen System leben, vielleicht generell nicht beherrschen können und bei der erstbesten Gelegenheit über einen herfallen – egal ob frau sich nun an die Kleidervorschriften hält oder nicht. Gerade eine Radfahrerin scheint mir da ein praktisches Opfer zu sein. Denn das Radfahren ist Frauen im Iran zwar offiziell nicht verboten, wird aber von manchen Geistlichen als unsittlich erachtet.

Sina verschmäht das Schweizer Müesli zum Frühstück. Spass haben wir aber trotzdem. (Bild: Martin Bichsel)
Sina mag lieber Kuchen als Schweizer Müesli zum Frühstück. Spass haben wir aber trotzdem. (Bild: Martin Bichsel)

Sina selber ist der beste Beweis, dass auch im Iran nur kranke Menschen übergriffig werden: Er verhält sich absolut korrekt. Und das obwohl er zum ersten Mal im Ausland ist, zum ersten Mal in seinen Leben so viel nackte Haut sieht und zuweilen mit einer Frau das Schlafzimmer teilt.

Kurz: Inzwischen ist meine Angst vor diesem Land, dass so total anders funktioniert, fast verflogen. Das hat mitunter auch mit den Erfahrungen in der Türkei zu tun, wo ich ein paar Tage alleine unterwegs war. Dort wurde ich von der lokalen Bevölkerung zum Teil richtiggehend unter die Fittiche genommen – und gerade die Frauen mit Kopftuch haben sich besonders rührend um mich gekümmert.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Anja

    Es freut mich mega, dass Du einen Partner für die Fahrt durch den Iran gefunden hast! Ich freue mich schon auf weitere Einsichten in die iranische Kultur und Deine / Eure Erlebnisse!

  2. Berner Lotti

    Ach meine liebe Andrea, wie bin ich froh dich in so guter Begleitung zu wissen! Es freut mich sehr, dass so viele deiner Ängste mit Herzlichkeit und Menschlichkeit weggeblasen werden:) und du täglich so tolle Begegnungen hast. Was für eine wunderbare Erfahrung! Ich wünsche dir auch weiterhin so viel Freude und wunderbare Tage wie bisher. Sei gedrückt aus der Ferne… Lotti

  3. René Birrer

    Sehr berührend deine Erlebisse und horizonterweiternd, danke.👍👏

  4. Sonya

    Ich dachte mir, dass das Radfahren im Iran für Frauen seit November 2017 verboten wurde. Aber ihr seid gerade jetzt unterwegs, oder? Ich frage euch, da ich vor habe mit einem Kameraden und mit dem Fahrrad den Iran zu durchqueren. Es ist also trotz Verbot möglich???

    1. Andrea

      Das ist Fake News. Es gibt kein offizielles Verbot. 2017 äusserte sich ein radikaler Geistlicher öffentlich gegen das Radfahren von Frauen. Das hat dann sogar in Schweizer Medien Wellen geschlagen. Allerdings gibt es einige Solo-Radfahrerinnen, die im Iran negative Erfahrungen gemacht haben. Eine davon ist Ewa Swiderska. Sie hat auf ihrem Blog Quotes von anderen Frauen gesammelt, die ebenfalls allein im Iran auf dem Rad unterwegs waren: http://www.ewcyna.com/podroz-solo-na-rowerze-przez-iran-doswiadczenia-kobiet-solo-woman-cycling-in-iran-is-it-a-no-no/ Wenn man die Beiträge liest, hat man nicht mehr so Lust auf dieses Land, von dem Solomänner oder Paare nur schwärmen. Ich werde mich in meinem nächsten Blog-Post nochmals damit auseinandersetzen.

  5. HansVö

    Hoffe Du bist noch gut unterwegs. Meine Gedanken sind bei Dir-natürlich auch mit dem Wunsch dass Du immer alles findest was Du suchst. Heute habe ich deinen letzten Standorteintrag mal näher angesehen (18. auf 19.Oktober 18, da bist aber ganz schön hin und her gefahren. Good Luck aus Tirol Hans

    1. Andrea Freiermuth

      18./19. Oktober. Das habe ich doch gar noch nicht hochgeladen!?! Garmin Connect funktioniert im Iran nicht…

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