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Am Vorabend des grossen Abenteuers: Jetzt kommen die Bedenken. (Bild: Andrea Freiermuth)

Ein E-Bike, 12000 Kilometer und viel Angst

Der Philosoph Søren Kierkegaard wusste es schon vor mehr als 160 Jahren: «Dem Weibe ist mehr angst als dem Manne.» Ich habe Bauchschmerzen und schlafe nun schon seit Tagen schlecht. Denn morgen fahre ich ab, mit dem E-Bike, über den Bernina und den Balkan, durch die Türkei und den Iran – bis nach China.

Langsam aber stetig hat sich die Idee dieser E-Bike-Reise nach Peking in meinem Kopf gefestigt. Ich träumte dabei von spannenden Begegnungen, bildgewaltigen Landschaften und absoluter Freiheit. Und von einer guten Sache: Denn Velos mit elektrischer Unterstützung sind eine super Erfindung, die mehr Aufmerksamkeit verdient. Dazu wollte ich als radelnde Reporterin beitragen. Schritt für Schritt habe ich die Vorbereitungen in Angriff genommen. Geglaubt, dass ich das Ganze tatsächlich mal realisieren werde, habe ich selber nicht so recht. Morgen ist es soweit und jetzt macht es mir Angst, furchtbare Angst.

10 000 Franken spazieren fahren

Das Bargeld und die Kreditkarte trage ich auf der Haut, den Rosenkranz meiner Mutter um den Hals. Und der Schweizer Pass liegt immer griffbereit im Körbchen über dem Vorderrad. Doch mitten in der islamischen Republik helfen Gott und Vaterland wohl wenig. Und Papier und Plastik lassen sich einer abgekämpften Radfahrerin leicht abnehmen.

Abgesehen davon wird mich mein Flyer Upstreet 5 mit Tretunterstützung bis zu 25 Kilometer pro Stunde und 36-Volt-Motor als Kapitalistin entlarven. Und dann ist da auch noch ein Computer, eine Kamera und allerlei teures Camping-Material im Gepäck. Ich fahre eine Ausrüstung im Wert von rund 10 000 Franken spazieren. Notabene in Regionen dieser Welt, in denen dieser Betrag weit mehr als ein Jahreseinkommen ist.

Frauen müssen mehr Angst haben

Ganz zu schweigen von meiner Verletzlichkeit als Frau: Ich werde durch Länder reisen, in denen sich Männer nicht gewohnt sind, eine sportlich aktive Frau in der Öffentlichkeit zu sehen. In denen ich die Sprache nicht spreche und deshalb nicht erklären kann, dass ich im Fall bloss gerne Velo fahre und mein Sitzen im Sattel nicht als sexuelle Einladung zu verstehen sei.

Es ist einfach ungerecht, dass sich männliche Reisende keine solchen Gedanken machen müssen. Und darum hat Angsttheoretiker Søren Kierkegaard vielleicht doch recht, obwohl ich seine Feststellung über die Furcht des Weibes gerne als Geschwätz eines alten Mannes abtun würde. Allerdings möchte ich präzisieren: Frauen haben mehr Angst, weil sie in dieser Welt mehr Angst haben müssen.

Lüstlinge sind dennoch selten

Gleichzeitig weiss ich, dass das Risiko des Lüstlings, der mir hinter einem Busch abpassen könnte, relativ gering ist. Zürich-Peking ist nicht meine erste Fahrradreise. Ich war unter anderem schon als Solo-Fahrerin auf Kuba, Korsika und an der Westküste der USA unterwegs. Belästigt wurde ich noch nie – und das trotz feurigen Latinos, gesetzlosen Separatisten und hemdsärmligen Holzfällern.

Auf den rund 12000 Kilometern nach Peking werde ich auf mehr als der Hälfte der Strecke nicht allein sein, sondern von wechselnden Reisepartnern begleitet. Solo werde ich voraussichtlich bloss in China, Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan fahren. Zudem lerne ich derzeit Chinesisch, und die Bürger der nördlichen Stan-Ländern gehörten einst zur UDSSR und sollten aus dem Kommunismus zumindest theoretisch wissen, was Gleichberechtigung ist.

Wenn da diese Lust am Entdecken nicht wäre, würde ich mich wahrscheinlich von meiner Furcht zu Hause festbinden lassen. Ich habe vor jeder Reise Existenzängste und denke beim Abschiednehmen jeweils, dass ich meine Freunde und Familie vielleicht nie mehr sehen werde. Aber meine Neugier auf die Welt ist grösser, und darum habe ich gelernt meine Angst zu managen.

Als Radfahrerin lebt man überall gefährlich

Paradoxerweise gelingt mir das am besten mit dem Gedanken an die grösste Gefahr, der ich mich aussetzen werde: Autos und Lastwagen. Dass Risiko von einem unaufmerksamen Verkehrsteilnehmer abgeschossen zu werden, ist für alle Menschen gleich gross, egal ob Mann oder Frau. Zudem fahre ich auch zu Hause Velo. Das heisst, mir könnte auch ohne diese Reise etwas passieren. Das Leben als Radfahrerin ist gefährlich. Um meiner Leidenschaft zu frönen, habe ich mich schon vor langem an diesen Gedanken gewöhnt.

Und überhaupt: Heutzutage ist man im Notfall fast von jeder Ecke dieser Welt innerhalb von 24 Stunden wieder zu Hause. Ich fahre morgen einfach mal los, aufgeben und abbrechen kann ich dann immer noch. Mit diesem Gedankenspiel habe ich es bisher immer geschafft, mir Mut zu machen. Auch weil ich inzwischen weiss: Wenn ich erst mal auf dem Velo sitze, dann verfliegt die Angst – und die Freude am Entdecken der Welt übernimmt.

Dieser Beitrag hat 13 Kommentare

  1. Lotti Berner

    Hi meine Liebe ich bin sicher dass du es bereits nach den ersten Kilometern geniessen wirst und dann auch weisst, dass du das Richtige tust, auch wenn es mir schwer fällt mir vorzustellen, dass du soooo lange unterwegs sein wirst. Und wenn Gott nicht hilft, so gibt es auch noch Allah und mit den beiden bist du ganz gut abgedeckt!
    Ich wünsche dir viele tolle Erlebnisse, interessante Begegnungen und immer wieder Menschen dir dir helfen wenn du es nötig hast.
    Sei umarmt und gedrückt
    Lotti

  2. Ivo

    Geniess deine Reise 🙂

  3. Ruedi Berner

    Viel Glück!

  4. Anita Sacher

    Mis liebe Cousindli
    Ich weiss dass Du das schaffsch und de Närvechützel bruchsch! Das wersch suscht nit Du! Do ich jo a dem Ereignis au echli Schuld bi will ich Dir mis Velo usglehnt ha vor Johre, bini in Gedanke immer bi Dir. Mir alli freuie euis uff spannendi Gschichte vo Dir!
    Gueti Fahrt, villi einmaligi Erläbnis, tolli Bekanntschafte und wunderbar nätti Lüt wünscht Dir
    Anita

  5. Otto

    Hallo Andrea,

    übersetzt heißt Angst: Achtsamkeit!!! Achte auf dich selbst, auf dein Selbst und somit auf alles was du dabei hast. Viel Glück und eine gute Gesundheit.

    Was mich auch interessiert wie sich das Velo anfühlt und wie viele Akkus du dabei hast.

    Gute Reise und schöne Erlebnisse!

    Otto

  6. Bea

    Alles Gute – du wirst es geniessen!

  7. Frank

    ich bin im fast jeden Teil der Welt gewesen und habe fast zehn Jahre als Lehrer in Afrika gearbeitet.
    Je einsamer desto freundlicher und herzlicher waren die Menschen.
    Im tiefsten Busch habe ich mich sicherer gefühlt als in den Städten.
    Wenn überhaupt dann sind die Städte ein Problem nicht das Freiland.
    Trotzdem ist es natürlich richtig offizielle Reisewarnung zu beachten. In China fällt mir dazu ein dass es im westlichen Landesteil unter Umständen ein Sicherheit Problem mit den Uguren gibt. Allerdings kümmern sich die Chinesen sehr intensiv darum und vermutlich wirst du einen Begleiter haben. Ich wünsche dir alles Gute viele tolle Eindrücke und du wirst reich beschenkt von dieser Reise zurück kehren.

    1. Andrea

      Danke. Die Erfahrung mit Stadt-Land habe ich auch gemacht. Ob ich in der Provinz Xinjiang wirklich Radfahren kann, weiss ich noch nicht. Bisher dachte ich aber, dass die Uiguren für den Staat ein Problem sind – und weniger für die paar wenigen Touristen, die sich in diese Ecke verirren.

      1. Frank

        Es geht sehr lange durch Wüste. Übrigens stimmt es, dass in den Stan Ländern die Menschen sehr fortschrittlich und aufgeklärt sind. Von dort geht es dann über einen Pass über 4000 m nach China rein. Dort musst du erst einmal warten nicht oben auf dem Pass sondern an der nächsten Stadt die dahinter liegt. Hier ist es alles andere als Hinterwäldlerrische es gibt viele moderne Bauten und teilweise ist das Stadtzentrum futuristisch. Dann geht es durch die Wüste. Auch hier triffst du überall auf Solaranlagen und Elektro Moped. Verbrennungsmotoren dürfen gar nicht mehr in die Städte. Auf dem Weg durch die Wüste gibt es alle paar Kilometer heftige Kontrollpunkte wo man die Reisenden komplett durchleuchtet. In wieweit dieses Uiguren Probleme hausgemacht ist und ob es wirklich stimmt das die Extremisten eine Nähe zum islamischen Staat haben bleibt unklar. Hast du denn eigentlich auskunft in wie weit du dich überhaupt alleine durch China bewegen darfst?

        http://m.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/chinas-angst-vor-dem-is-14449874.html

  8. hjop.ch

    Hallo Andrea,
    Das wird eine tolle Reise und geniesse jeden Kilometer. Ich finde es gibt keine schönere Art zu reisen. Viel Glück und schöne Erlebnisse wünsche ich Dir. Ich werde deine Reise interessiert verfolgen.

  9. Daniela

    Ich wünsche dir einen prima Start im Sattel und auf dass die Lust und Freude am Entdecken sich bis in jede Zelle verteilt und der Angst gar keinen Platz mehr lässt. Ich habe mal gehört, dass Dankbarkeit rein neurologisch dem Hirn keine Möglichkeit für Angst lässt. Vielleicht funktioniert das, wenn du es mal brauchen solltest. Viel Vergnügen und ich freue mich schon auf deine Berichte!

  10. Jutta

    Wegen Irans brauchst du nicht zu bibbern. Ich garantiere für gastfreundliche Begegnungen und interessierte, herzliche Menschen, die dich begeistern werden. Ein wwunderbares Land! Gute Reise wünsche ich dir.

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